Versailler Vertrag < Geschichte < Geisteswiss. < Vorhilfe
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(Frage) beantwortet | Datum: | 19:13 Do 08.04.2010 | Autor: | tj92 |
Ich halte bald einen Vortrag zum Versailler Vertrag und wollte mir hier einige Anregungen dazu verschaffen. Meine Frage ist, was ihr vom "Artikel 231" haltet, der Deutschland die Alleinschuld am ersten Weltkrieg gibt. Stimmt ihr dem Artikel hierbei zu oder nicht und warum?
Artikel 231:
„Die alliierten und die assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, dass Deutschland und seine Verbündete als Urheber (des Krieges) für alle Schäden und Verluste verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungen Krieges erlitten haben.“
(Ich habe diese Frage in keinem Forum auf anderen Internetseiten gestellt.)
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(Antwort) fertig | Datum: | 08:42 Fr 09.04.2010 | Autor: | Josef |
> Ich halte bald einen Vortrag zum Versailler Vertrag und
> wollte mir hier einige Anregungen dazu verschaffen. Meine
> Frage ist, was ihr vom "Artikel 231" haltet, der
> Deutschland die Alleinschuld am ersten Weltkrieg gibt.
> Stimmt ihr dem Artikel hierbei zu oder nicht und warum?
>
Hallo tj92,
damit haben sich die Historiker bereits eingehend auseinandergesetzt.
Unmittelbar nach Beendigung des Krieges machten sich deutsche Historiker daran, durch umfangreiche Einzeluntersuchungen, Aktenpublikationen und Dokumentationen die These von der Alleinschuld Deutschlands am Kriegsausbruch zu widerlegen.
Gemäß ihrer apologetischen Zielsetzung kam die deutsche Geschichtswissenschaft der Zwischenkriegszeit übereinstimmend zu dem Schluss, dass die Politik des Deutschen Reiches ebenso wie die der Ententemächte 1914 ausschließlich von Sicherheitsbedürfnis und Gleichgewichtsdenken bestimmt worden sei und Deutschland in einen Verteidigungskrieg hineingezogen, allenfalls zu einem Präventivkrieg gezwungen worden sei. Dies wurde vom Großteil der Historiker aus den Siegerstaaten bestritten, wenngleich es auch unter ihnen prominente Vertreter des Faches – wie etwa Pierre Renouvin (1893-1974) – gab, welche die These von der Alleinschuld Deutschlands anzweifelten und darauf hinwiesen, dass auch die russische Politik zum Kriegsausbruch beigetragen habe.
Die Debatte um die Kriegsschuld schien beendet, als beim deutsch-französischen Historikertreffen 1951 in Anlehnung an Lloyd Georges Formel, alle Mächte seien 1914 gewissermaßen unbeabsichtigt in einen Krieg „hineingeschlittert”, Einigkeit darüber erzielt wurde, dass die historischen Dokumente es nicht erlaubten, „im Jahre 1914 irgendeiner Regierung oder einem Volk den bewussten Willen zu einem europäischen Kriege zuzuschreiben”.
Erst die Arbeiten des Hamburger Historikers Fritz Fischer brachen Anfang der sechziger Jahre diesen Konsens auf und lösten eine heftige, teilweise polemisch geführte Kontroverse aus, die nicht nur die historische Forschung, sondern auch weite Teile der Öffentlichkeit intensiv beschäftigte. In seinem mittlerweile zu einem Standardwerk der Weltkriegsforschung avancierten Werk „Griff nach der Weltmacht” (1961) stellt Fischer die These auf, dass die deutsche Staatsführung, getrieben von einflussreichen und an Expansion interessierten Gruppierungen (vor allem aus der Industrie), spätestens seit 1911 planmäßig auf einen Krieg zugesteuert sei. Der bereitwillig ausgestellte „Blankoscheck” (5. Juli 1914) für die österreichische Regierung zeige deutlich, dass Deutschland nicht nur den Krieg gewünscht, sondern ihn eigentlich erst möglich gemacht habe. Ziel der deutschen Politik zwischen 1911 und 1914, so die Kernthese Fischers, sei eine „Hegemonie Deutschlands über Europa” gewesen.
Fischer wurde vorgeworfen, er habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass auch die übrigen europäischen Großmächte mit imperialistischer Politik den Konflikt angeheizt hätten und diese ihrerseits einen Krieg zur Lösung ihrer innenpolitischen Spannungen durchaus einkalkuliert hätten. Der Historiker Gerhard Ritter trat in seinem Werk Staatskunst und Kriegshandwerk als prominentester Kritiker der Thesen Fischers hervor und betonte, dass vor allem die Rolle des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg als eher defensiv einzustufen sei, der keineswegs einen „Griff nach der Weltmacht” angestrebt habe, sondern vielmehr von der Absicht geleitet gewesen sei, mit einer „Politik der Diagonalen” die innere Spaltung der Nation im Krieg zu verhindern.
Wenngleich auch heute die „Fischerkontroverse” noch nicht ganz ausgetragen ist, so hat sich doch die vorherrschende Auffassung herauskristallisiert, dass es sich nicht unbedingt um einen reinen Angriffskrieg Deutschlands mit Weltmachtstreben gehandelt habe, jedoch durchaus um „die Konzeption eines kalkulierten Risikos zur Durchsetzung machtpolitischer Veränderungen unter Ausnutzung von internationalen Krisensituationen” (Andreas Hillgruber).
Quelle:
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Viele Grüße
Josef
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