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Hermeneutik: Rückfrage
Status: (Frage) beantwortet Status 
Datum: 22:32 Fr 26.06.2009
Autor: dreamy007

Aufgabe
Definieren sie "Verstehen" in Bezug auf die Hermeneutik.

Ich habe diese Frage in keinem Forum auf anderen Internetseiten gestellt.

Ich habe Schwierigkeiten mit einer prägnanten, einleuchtenden Definition. In der Vorlesung wurde gesagt, dass "Verstehen" im Verhältnis zu fremden Sprachäußerungen steht, ich habe aber nicht verstanden in welchem Verhältniss (also was damit gemeint ist). Klar ist mir, dass die fremde Sprachäußerung nicht bekannt ist, denn sonst müsste sie nicht erst noch verstanden werden.
Wäre es folglich richtig wenn ich sagen würde, dass verstehen der Prozess ist, dass Fremde zu lesen, es mit seinem eigenen Vorwissen abzugleichen und dann zu probieren es zu verstehen?
Mir fällt das genaue Definieren schwer, weil ich die Thematik sehr schwammig finde. Ich wäre sehr froh wenn mir jemand ein Lichtlein in den Tunnel bringt!

        
Bezug
Hermeneutik: Mitteilung
Status: (Mitteilung) Reaktion unnötig Status 
Datum: 14:53 Fr 03.07.2009
Autor: Josef

Hallo,

Hermeneutik (von griechisch hermeneuein: deuten, interpretieren), Lehre vom Verstehen, Auslegungskunst. Gegenstand der Hermeneutik, die um 1500 im Zuge des Humanismus entstand, waren zunächst die Texte antiker Autoren, in erster Linie aber der Inhalt der Bibel, dessen Wahrheitsgehalt als konkret und eindeutig galt.

Im 19. Jahrhundert erweiterten Philosophen wie Friedrich Schleiermacher und Wilhelm Dilthey den Horizont der Hermeneutik, indem sie den Leser selbst mit in ihre Betrachtung einbezogen. Hier wurde das Verstehen als ein Vorgang der psychologischen Rekonstruktion begriffen: Im Akt des deutenden Lesens lege, so Schleiermacher, der Rezipient die ursprüngliche Absicht des Autors frei. Interpretation erscheint als Versuch, sich in die Lage des Autors hineinzuversetzen, um den schöpferischen Akt nachzuvollziehen und so den einzig möglichen Sinn des Kunstwerkes aufzudecken.

Ziel der Hermeneutik Diltheys war vor allem die Abgrenzung der verstehenden Geisteswissenschaften gegenüber einer rein erklärenden Naturwissenschaft.

Im 20. Jahrhundert waren es Edmund Husserl, Martin Heidegger und sein Schüler Hans-Georg Gadamer, die eine Neuorientierung der philosophischen Hermeneutik im Sinn einer eher „offenen” Auslegekunst unternahmen. (Gadamer wurde 1960 mit seinem bis heute für die Hermeneutik maßgeblichen Standardwerk Wahrheit und Methode schlagartig berühmt.) Verstehen ist demnach niemals nur durch das konkret-gegenwärtige Verhältnis des Subjekts zu dem Gegenstand seiner Betrachtung bestimmt, sondern Teil eines wirkungsgeschichtlichen Geschehens, das die historisch wandelbaren Gegebenheiten, den jeweiligen Horizont des Erkenntnisaktes, berücksichtigen muss (Horizonttheorie). Der Bedeutungszusammenhang des zu Deutenden ist als vergangene Wirklichkeit dem Rezipienten nie wirklich zugänglich. Der Interpret und das zu Interpretierende stehen vielmehr in einem gegenseitigen Bedingungsgefüge. Heidegger und Gadamer beschreiben dieses Dilemma als einen „hermeneutischen Zirkel”: Dabei beziehen sie sich auf die Art und Weise, in der – sowohl im Verständnis als auch in der Interpretation – der Teil und das Ganze kreisförmig aufeinander bezogen sind. Um das Ganze zu verstehen, ist es notwendig, die Teile zu verstehen, und umgekehrt. Nur unter dieser Bedingung sind menschliche Erfahrung und Forschung überhaupt möglich. Ausgehend von Heidegger dehnte die Hermeneutik ihren Gegenstandsbereich auf das ganze Spektrum verstehender Erkenntnis aus, indem sie betonte, dass jegliche Form von Wissen letztlich auf Auslegung beruhen müsse.

Ausgehend von der in der Hermeneutik formulierten geschichtlichen Bedingtheit des Verstehens kann allen Textinterpretationsmodellen logische und historische Beliebigkeit vorgeworfen werden.


Verstehen, Begriff aus der Denk- und der Bewusstseinspsychologie. Er bezeichnet die Konstruktion einer inneren Wirklichkeit, die die äußere Wirklichkeit in geeigneter Weise beschreibt und sie so dem Denken zugänglich macht. In der Allgemeinen Psychologie wird das Verstehen je nach Fachrichtung (Denk-, Sprach-, Wahrnehmungs- oder Gedächtnispsychologie) als Aufbau einer komplexen Gedächtnisrepräsentation von Umweltreizen betrachtet, mit deren Hilfe über die Umwelt nachgedacht werden kann. Dazu gehören z. B. die Gedächtnisspur nach dem Lesen eines Buches oder die Erinnerung an den Inhalt eines Filmes. In der Bewusstseinspsychologie wird das Verstehen als ein Prozess aufgefasst, der die Wirklichkeit durch Bewusstseinsprozesse so umformt, dass ein Gedankenmodell der Wirklichkeit entsteht. Die radikalste Position vertritt der Konstruktivismus, der behauptet, dass kein direktes Verstehen der Wirklichkeit möglich ist, sondern immer nur innere Modelle oder Hypothesen, deren Gültigkeit letztlich nicht zu prüfen ist.


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Viele Grüße
Josef

Bezug
        
Bezug
Hermeneutik: Mitteilung
Status: (Mitteilung) Reaktion unnötig Status 
Datum: 15:00 Fr 03.07.2009
Autor: Josef

Hallo,

Vorgehen der objektiven Hermeneutik
Grundsätzlich erfolgen hermeneutische Deutungen mittels eines Dreischritts:

   1. dem Verstehen,
   2. dem Auslegen,
   3. dem Beurteilen.

Das bedeutet, es wird zunächst untersucht, welche Absicht der Urheber eines Textes (oder der Maler eines Bildes) beim Erstellen des zu interpretierenden Werkes hatte (Verstehen). Anschließend wird dieses Verständnis dann in Relation zu einem größeren Bedeutungszusammenhang (beispielsweise zu einer politischen Theorie) gesetzt (Auslegen) und kann dann auf dieser Grundlage bewertet werden (Beurteilen).



Die Hermeneutik [zu griech. hermeneúein „aussagen“, „auslegen“, „erklären“] befasst sich mit dem schriftlichen Text. Sie ist die Lehre der

    * Textauslegung bzw.
    * Interpretation und des
    * Text-Verstehens.

Im weiteren Sinn meint Hermeneutik das Verstehen von Sinnzusammenhängen in menschlichen Lebensäußerungen aller Art, also auch des mündlichen Sprachgebrauchs sowie des nonverbalen Verstehens.


Quelle: Schülerlexikon Duden


Viele Grüße
Josef

Bezug
        
Bezug
Hermeneutik: Mitteilung
Status: (Mitteilung) Reaktion unnötig Status 
Datum: 17:13 Fr 03.07.2009
Autor: Josef


> Definieren sie "Verstehen" in Bezug auf die Hermeneutik.


Hallo,



Hermeneutik
[zu griechisch hermeneúein »aussagen«, »auslegen«, »erklären«] die, im engeren Sinn die Kunst und Theorie der Auslegung von Texten, im weiteren Sinn das Verstehen von Sinnzusammenhängen in menschlichen Lebensäußerungen aller Art. Bis zum 18.Jahrhundert war die hermeneutica sacra als Deutung heiliger Texte unterschieden von der hermeneutica profana, die sich mit der klassischen Literatur der Antike beschäftigte. F.D.E. Schleiermacher bestimmte die Hermeneutik als »Kunstlehre des Verstehens«, die von W.Dilthey als methodologische Grundlegung der Geisteswissenschaften verstanden und ausgebaut wurde. Die hermeneutische (»verstehende«) Methode, die in Gegensatz zur erklärenden der Naturwissenschaften gesetzt wird, will Bedeutung und Sinn von Äußerungen und Werken des menschlichen Geistes aus sich und in ihrem Zusammenhang verstehen. Dass »Verstehen« nicht allein Methode einer Wissenschaft, sondern der Geisteswissenschaft vorgeordnet ist, entwickeln M.Heidegger und H.-G. Gadamer in der philosophischen Hermeneutik: »Verstehen« wird als Weise des menschlichen Existierens selbst begriffen. Der Verstehende muss immer schon ein Vorverständnis von dem haben, was Gegenstand des Verstehens ist (hermeneutischer Zirkel). Zentrum der theologischen Hermeneutik und Ziel ihrer (exegetischen) Bemühungen ist die immer neue Übersetzung der biblischen (Sprach-)Wirklichkeit in die jeweilige (Sprach-)Wirklichkeit der Gegenwart unter Wahrung des unverkürzten Kerygmas, vollzogen in der christlichen Predigt. Traditions-, Schrift- und Vernunftprinzip bilden die grundlegenden hermeneutischen Denkansätze, unterschieden nach den die Bibelauslegung normierenden »Instanzen« Lehramt, (göttlich inspirierte) Heilige Schrift und (historisch-kritische) Vernunft. Wesentliche hermeneutische Ansätze des 20.Jahrhunderts begreifen die biblische Botschaft als Ausdruck von Existenzerfahrungen (R.Bultmann, Heideggers »Hermeneutik des Daseins« aufgreifend), Sprachereignis, in dem sich Heil ereignet (Gerhard Ebeling, *1912), archetypisch zur Sprache gebrachte, den Menschen in seiner Zerrissenheit heilende Urwünsche, -erfahrungen und -zusagen (E.Drewermann).

© Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim 2001


Viele Grüße
Josef

Bezug
        
Bezug
Hermeneutik: Antwort
Status: (Antwort) fertig Status 
Datum: 01:10 So 05.07.2009
Autor: schneckchen_moeh

Hallo dreamy007!

Also, das was der Josef dir da herausgesucht hat, gerade den letzten Beitrag, finde ich schon super! Solltest du dir angucken!

Vielleicht kann ich dir noch mal ein wenig erklären, wie wir das im Unterricht erklärt bekommen haben.

>  Wäre es folglich richtig wenn ich sagen würde, dass
> verstehen der Prozess ist, dass Fremde zu lesen, es mit
> seinem eigenen Vorwissen abzugleichen und dann zu probieren
> es zu verstehen?

Also, zunächst würde ich das Verstehen als Grundlage oder Grundmethodik der Hermeneutik sehen. Man spricht da oft von dem sogenannten hermeneutischen Zirkel. Dies meint einen zirkulierenden, also sich wiederholden, Vorgang.
Also, Verstehen ist ein Prozess und du hast ein gewisses Vorwissen, wie du schon ganz richtig sagtest. Zum Beispiel, während du diesen Text liest, kennst du das generelle Thema, einige Fachwörter und hast Deutschkenntnisse.
Du vergleichst es auch mit deinem Vorwissen, aber baust auch neue gedankliche "Bilder" oder neue Zusammenhänge auf. Also wie so ein Zirkel oder eher eine Spirale oder ein Weg, der um einen Berg herum hinauf führt. Eine Grundlage hast du schon und das erweiterst du (nicht umbedingt bewusst).
Die Idee dahinter ist, dass jedes Mal, wenn du einen unbekannten Text liest, du unweigerlich etwas lernst (auch, wenn man denkt, man hat nichts verstanden). Und beim zweiten Lesen lernst du wieder etwas mehr. Beim dritten Lesen noch etwas mehr usw.
Das mit dem "probieren es zu verstehen" würde ich so nicht sagen. Weil das Verstehen ja dein gesamter Prozess ist. Es ist eine Art Adaption (Aufnahme/Hinzufügen), die dein Gehirn schon ganz brav leistet. Selbst, wenn du das Gefühl hast, du hast dich nur bemüht und hast gar nichts verstanden. Selbst dann hast du ein wenig gedanklich verknüpft und eine Erkenntnis gewonnen, dass du z. B. mehr Informationen benötigst.

> In der Vorlesung wurde gesagt, dass "Verstehen" im Verhältnis zu fremden Sprachäußerungen steht.

Bei einer fremden Sprachäußerung ist ja egal, ob es sich um etwas Gesprochenes oder etwas Geschriebenes Fremdes handelt.
Da bist also Du auf der einen Seite und die fremde Äußerung auf der anderen Seite und dazwischen, ist ein Verhältnis, das langsam aufgebaut wird. Durch das Verstehen adaptierst du das Fremde, gewöhnst dich daran, erweiterst dein Wissen. Und das alles auf der Grundlage des Verstehens. Somit steht das Verstehen als Grundmethodik in einem entscheidenden und wichtigen Verhältnis zu den fremden Sprachäußerungen. Es ist also eine Brücke oder ein Tor dorthin.

Ja, leider ist die Definition immer sehr schwammig.
Ich hoffe, ich konnte dir einen Einblick in das Verständnis davon mitgeben, das mir vermittelt worden ist.
Versuch doch mal davon ausgehend eine genaue Definition formal hinzuschreiben. (Und am Besten auch ausgehend von den formalen Definitionen, die Josef aus dem Brockhaus gefischt hat!)

Und wir schauen dann mal, was man so sagen kann, oder was man besser ändert.
Wenn du sonst noch Fragen hast, nur heraus damit! :-)

Viele Grüße,
Isa

Bezug
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